Die Sprache des Faschismus

27. April 2025

Wer sich schon einmal mit faschistischen Strömungen und Regimes auseinandergesetzt hat, dem wird vielleicht die spezielle Sprache aufgefallen sein. Denn in den meisten faschistischen Strömungen etabliert sich eine Sprache, welche sehr stark die Ideologie der Strömung in sich trägt und diese somit weiterverbreitet beziehungsweise festigt. Die Eigenschaft der Sprache als Ideologieträger beschränkt sich natürlich nicht nur auf faschistische Sprache, sondern ist eine Eigenschaft von Sprache generell. In faschistischer Sprache tritt diese Eigenschaft jedoch verstärkt auf.

Sprache und Ideologie

Sprache und Ideologie sind nicht trennbar. Wer etwas formuliert, wird immer in einem gewissen Masse seine eigene Ideologie in die Aussage einfliessen lassen. Dies ist keineswegs eine negative Sache, denn so kann dem Gegenüber signalisiert werden, wie eine Nachricht aufzufassen und zu interpretieren ist. Egal wie stark wir versuchen, eine Aussage von unserer Ideologie zu trennen, wir werden es nicht schaffen. Denn die Art und Weise, wie unsere Sprache aufgebaut ist, verunmöglicht dies. Wörter tragen immer mehr als nur eine Bedeutung mit sich und die Wahl eines bestimmten Wortes liefert immer auch eine gewisse Information darüber, was der Sender von einer gewissen Sache denkt.

Anders als in unserer Alltagssprache übernimmt die Ideologie in faschistischer Sprache jedoch die Oberhand. Dadurch entwickelt faschistische Sprache eine Tendenz, Menschen zu beeinflussen oder sogar zu manipulieren. Passend dazu meint Umberto Eco in seiner Rede über den Faschismus, dass der Faschismus Newspeak spreche.

Newspeak

George Orwell, der Autor von 1984 ist einer, der die Sprache des Faschismus verstanden hat wie kein anderer. Wer 1984 gelesen hat, dem wird Newspeak sicherlich ein Begriff sein. In 1984 will die faschistische Regierung von Ozeanien die zuvor verwendete Sprache Oldspeak (Englisch) mit Newspeak ersetzen. Newspeak ist jedoch keine normale Sprache, vielmehr handelt es sich dabei um eine künstliche Sprache, die das Denken und Äussern der Bevölkerung von Ozeanien so stark einschränken und beeinflussen soll, dass Widerstand gegen das Regime quasi unmöglich wird. Das spannende an Newspeak ist, dass es sich hierbei quasi um die «perfekte» faschistische Sprache handelt. Newspeak beeinflusst nicht nur die Art und Weise, wie die Menschen denken, sondern verunmöglicht es sogar, systemkritische Dinge zu formulieren.

Wer Newspeak mit Sprachen faschistischer Regimes vergleicht, dem wird sofort auffallen, wie viele Eigenschaften faschistischer Sprache George Orwell bewusst in Newspeak integriert hat. Eine Analyse von Newspeak ermöglicht somit einen Einblick in die Funktionsweise faschistischer Sprache.

Nachfolgend soll auf einige zentrale Eigenschaften von Newspeak und somit faschistischer Sprache eingegangen werden.

Euphemismen

Ein typisches Merkmal von faschistischer Sprache ist das übermässige Auftreten von Euphemismen. Hierbei handelt es sich um Wörter, die schöner klingen als das, was sie eigentlich beschreiben. In Newspeak gibt es sehr viele Euphemismen, welche von sehr harmlosen wie zum Beispiel ungood (ungut: Bedeutet so viel wie schlecht) bis zu sehr schlimmen wie dem Wort joycamp (Freudelager: Wird verwendet um ein Zwangsarbeitslager zu bezeichnet) reichen. Euphemismen finden sich nicht nur in fiktiven faschistischen Sprachen, sondern auch in echter faschistischer Sprache. Ein Beispiel aus der Zeit der NSDAP wäre der Euphemismus «Wilkommenszeremonie», welcher von den Nazis verwendet wurde, um die nach der Einlieferung in ein Konzentrationslager stattfindende Aufteilung in arbeitsfähige und nicht arbeitsfähige Personen zu bezeichnen – wobei die nicht arbeitsfähigen Personen direkt nach dieser Einteilung vergast oder lebendig verbrannt wurden.

Euphemismen werden in faschistischer Sprache grundsätzlich verwendet, um schlimme Sachen zu verschleiern. Der schöne Begriff ermöglicht es, die schlimme Wahrheit hinter dem Begriff zu ignorieren oder zu verdrängen.

Worteinengungen

Ein weiteres Merkmal von faschistischer Sprache ist, dass Wortbedeutungen eingeschränkt werden. Wörter, welche zuvor mehrere Bedeutungen hatten, werden bewusst so geprägt, dass sie nach einiger Zeit nur noch eine einzige feste Bedeutung haben, eine Bedeutung, welche natürlich in die Ideologie der entsprechenden Strömung passt. Ein Beispiel aus Newspeak hierfür wäre das Wort free (frei). Diesem Wort wurde jegliche politische Bedeutung entzogen und nur die unpolitische Verwendungsweise zurückgelassen. Free kann also nicht mehr im Kontext politicaly free (politisch frei) verwendet werden, sondern nur noch für unpolitische Dinge wie z.B. «The dog is free of lice» (der Hund ist frei von Läusen) (Orwell, S. 372).

Für den Faschismus gefährliche Wortbedeutungen können durch Worteinengung bewusst aus dem Weg geschafft werden, wodurch die Denkweise der Gesellschaft beeinflusst wird. Mit Newspeak treibt George Orwell das Konzept auf die Spitze. Denn Worte in Newspeak wurden so stark eingeengt, dass es nahezu unmöglich ist, systemkritische Gedanken zu formulieren. Sogar das Denken wird dadurch eingeschränkt, da wir für komplexere Gedanken Sprache benötigen und Newspeak «falsche» Gedanken gar nicht erst zulässt.

Neologismen

Was bei faschistischer Sprache nicht fehlen darf, sind Wortneuschöpfungen. Es werden bewusst neue Wörter gebildet oder erfunden, um Dinge zu bezeichnen, die für die Ideologie besonders wichtig sind. Ein Beispiel hierfür wäre das Wort Newspeak selbst, ein Wort, das nicht nur der Name der neuen Sprache ist, sondern auch die gesamte Ideologie dieser Sprache in sich trägt. In der Sprache der NSDAP braucht man für Neologismen nicht weit zu suchen, denn sie sind überall. Beispiele reichen von «Rassenschande» über «Deutsches Jungvolk» bis hin zu «Vergeltungswaffe».

Das praktische an Neologismen ist, dass die faschistische Strömung nicht gegen bereits vorherrschende Wortbedeutungen ankämpfen muss und sich das Wort und die Bedeutung somit schneller durchsetzt.

Abkürzungen

Eine merkwürdige Tendenz von faschistischer Sprache ist der Hang zu vielen Abkürzungen - eine auf den ersten Blick eher merkwürdige Eigenschaft. George Orwell erklärt sich diese in 1984 wie folgt: «It was perceived that in thus abbreviating a name one narrowed and subtly altered its meaning, by cutting out most of the associations that would otherwise cling to it. » (Orwell, S. 382) Abkürzungen erfüllen also dasselbe Ziel wie Worteinengungen, wobei sie ähnlich wie bei Neologismen die praktische Eigenschaft haben, dass die eingeengte Bedeutung der Abkürzung nicht gegen zuvor vorherrschende Bedeutungen ankämpfen muss.

Ein Beispiel aus Newspeak wäre das Wort Ingsoc, welches für english socialism (englischer Sozialismus: Dies ist die Ideologie der Regierenden Partei in 1984) steht. Beispiele aus der NS-Zeit sind: Gestapo, HJ, SS, KZ.

Weitere Merkmale faschistischer Sprache

Faschistische Sprache weist noch weitere Merkmale auf: Durch Wortneuprägungen wird Wörtern eine neue Bedeutung gegeben oder eine vorherrschende Bedeutung wird abgeändert – wer sich dafür interessiert, kann zum Beispiel die Geschichte des Wortes fanatisch unter dem NS-Regime recherchieren. Zudem werden oft Hochwörter verwendet, d.h. Wörter oder Wortteile, welche in diversen Konstellationen immer wieder auftauchen. Ein Beispiel aus der NS-Zeit wäre der Wortteil «Volk» (Volksmarsch, Volksgenossen, Volksgemeinschaft, Volkskanzler – eine Bezeichnung für Hitler, welche von der FPÖ heute wieder verwendet wird –, etc.) Und es gäbe auch noch weitere Merkmale, welche hier nicht aufgelistet sind.

Die Sprache des Faschismus und Newspeak

Die imaginäre Sprache Newspeak ist für die Analyse faschistischer Sprache in dem Sinne spannend, dass fast alle Eigenschaften von faschistischer Sprache überspitzt und deutlich in Newspeak vorzufinden sind. Eine Auseinandersetzung mit Newspeak ermöglicht somit, reale faschistische Sprache schneller als diese zu erkennen und diese entsprechend zu verurteilen.