Wenige Themen haben mich während meiner schulischen Laufbahn zugleich so interessiert und doch so abgeschreckt wie die Analyse von literarischen Werken.
Grundsätzlich finde ich es sehr spannend, ein literarisches Werk auf jede noch so erdenkliche Weise zu analysieren und dadurch die hinterletzte Bedeutung aus einem Werk herauszukratzen. Das Problem: Meine langjährige Erfahrung hat gezeigt, dass ich darin nicht besonders begabt bin.
Als ich noch jünger war, erklärte mir einmal eine Person, dass mit «den Teufel an die Wand malen» gar nicht gemeint sei, ein Bild des Teufels an eine Wand zu malen, sondern dass das ungefähr so viel bedeutete wie «Sich die schlimmstmögliche Situation ausdenken».
Inspiriert von dieser Erkenntnis, dass man nicht immer das eigentlich Gemeinte direkt aussprechen musste, versuchte ich mich gleich selbst daran. Mit Sätzen wie «Das ist ja, wie die Uhr selbst zu lesen.» erzielte ich jedoch nicht meine gewollte Absicht, nämlich auszudrücken, dass etwas äusserst schwierig sei, ich wurde nur schräg und fragend angeschaut.
In der Schule lernte ich dann irgendwann auch Fachbegriffe für Dinge wie dieses «Nicht das sagen, was man sagen will.» Solche Wörter gab es unglaublich viele und es wurden von Jahr zu Jahr mehr. Diese Fachbegriffe zum Analysieren und Interpretieren von literarischen Werken klangen in meinen Ohren zwar ausserordentlich schlau, ich verstand sie jedoch leider nur sehr schlecht. Nicht weil ich mir die Mühe nicht gemacht hätte, diese Begriffe zu lernen – glauben Sie mir, ich habe unzählige Stunden beim Versuch verschwendet, mir diese Fachausdrücke zu merken –, sondern weil mein Kopf scheinbar der Ansicht war, dass diese Begriffe partout unnötig seien und daher all diese Worte immer wieder aus meinem Gehirn gelöscht wurden.
Das Ganze wurde immer wie schlimmer: Am Gymnasium tauchten plötzlich Sätze wie «Das Enjambement negiert die Dekadenz des akribischen Protagonisten nicht.» auf und ich fühlte mich vollends abgehängt. Trotzdem blieb mein Interesse für die Interpretation von literarischen Werken bestehen.
Literarische Werke können auf diverse Weisen erschlossen werden. Die Erschliessung auf der historischen Ebene war dabei immer meine liebste. Durch ein literarisches Werk eine Art Fenster in vergangene Zeiten zu erhalten und somit einen Blick in diese Zeiten werfen zu können, hat einfach etwas Anziehendes an sich. Der Schlüssel zum Erfolg bei einer historischen Analyse ist dabei, dass man genügend Wissen zu den historischen Umständen des Werkes hat. Dazu gehört auch, dass man Kenntnisse über die Literaturepoche besitzt, welcher das Werk angehört.
Eigentlich ist Literaturgeschichte ganz einfach: Es gibt verschiedene literarische Epochen. Eine literarische Epoche dauert dabei immer eine gewisse Zeit. Werke, welche einer Epoche angehören, weisen gemeinsame Eigenschaften auf, die typisch für diese literarische Epoche sind. Eigenschaften können dabei sein: Die Themenwahl, die Sprache, der Schreibstil, bevorzugte Stilmittel oder zentrale Fragen der Zeit – Fragen, welche immer wieder aufgeworfen und heiss diskutiert werden. Will man nun ein Werk einer gewissen Epoche analysieren und interpretieren, kann man die typischen Gesichtspunkte der Epoche mit den Auffälligkeiten des Werks vergleichen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede können dann verwendet werden, um das Werk einzuordnen. Liefert der Autor Antworten auf damals zentrale Fragen? Welche Stilmittel waren damals verbreitet, nach welchen man bei der Analyse also bewusst Ausschau halten kann?
Literarische Epochen werden immer durch zu dieser Zeit vorherrschenden sozioökonomischen und politischen Umstände bedingt. Die Literatur einer gewissen Epoche ist dadurch quasi ein Spiegelbild der Welt zur damaligen Zeit.
Roch es in der Luft nach Revolution, wurden heisse politische Themen diskutiert und Obrigkeiten angeprangert. Wurde die Revolution niedergeschlagen – man denke an die gescheiterte Märzrevolution 1848 –, wendeten sich die Schriftsteller plötzlich nur noch den privaten Problemen zu.
Wer diese Umstände kennt, kann dadurch bewusst nach in den Werken bewusst nach Botschaften Ausschau halten, die versteckt werden mussten, da sie sonst zu Problemen mit der Obrigkeit geführt hätten.
Zusätzlich zur sozioökonomischen und politischen Situation spielt für eine Literaturepoche auch immer die Ausrichtung der zuvor verbreiteten Epoche eine Rolle. Denn meistens sieht man eine Tendenz, dass die Schriftstellerinnen der neuen Epoche die Weltanschauung der vorherigen Epoche vehement ablehnen. Sie richten ihre Werke daher oft als Gegenpol zu dieser aus. Dieses ist ein Phänomen, welches vor allem bei Literatur der Jahrhundertwende sehr deutlich zu sehen ist. Trotz des Stilpluralismus – damals entwickelten sich gleichzeitig unterschiedliche, teils gegenläufige literarische Strömungen – die jedoch alle die Gemeinsamkeit hatten, sich dem zuvor verbreiteten Naturalismus zu widersetzen.
Literarische Analysen und Interpretationen sind schön, solange man sich alleinig auf die historischen Dinge konzentriert. Leider ist jedoch eine Korrelation zwischen der Anzahl der verbrachten Schuljahre und der Häufigkeit von Fachbegriffen in Literaturanalysen festzustellen. Fachbegriffe, welche ich mir, wie schon erwähnt, einfach nicht merken konnte. Da ich der Meinung bin, dass es viel zu viele Fachbegriffe gibt, deren einzige Existenzberechtigung darin besteht, Schülern das Leben schwer zu machen, kämpfe ich seit geraumer Zeit gegen die Schreckensherrschaft der Termini – ja wirklich, die Pluralform von Terminus ist Termini und nicht Terminüsser (eigentlich schade). Denn erst durch diese wurde ich bei der Analyse von literarischen Werken so richtig abgehängt. Als Alliterationen aller Art auftauchten, war ich durch die Terminologie so eingeschüchtert, dass ich mich am liebsten in einer Ecke verkrochen hätte.
Trotz meiner scheinbaren Lernresistenz gegenüber Fachbegriffen der Analyse habe ich im Laufe der Zeit natürlich trotzdem einige dieser Begriffe gelernt. So sollte den Füchsen unter euch aufgefallen sein, dass ich einige Zeilen zuvor bewusst das Wort Alliteration in einer Alliteration eingebaut habe. Und auch der Begriff «Füchse» wurde natürlich nicht zufällig gewählt. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Metapher für die Schlauen unter euch Leserinnen.
Wem meine hohen Töne nun ein bisschen versalzen schmecken, dem möchte ich nur sagen, dass er zwar recht hat, gleichzeitig aber eine sogenannte Synästhesie überlesen hat – dabei handelt es sich um eine sogenannte Sinnesverschmelzung.
Des Exzedierens – veraltetes Wort für ausschweifen – noch nicht genug, kann man sich, wenn man schon einmal dabei ist, nicht nur aus dem Fenster lehnen, sondern bewusst aus diesem Fenster hinausspringen und argumentieren, dass es sich bei diesem Blog quasi um ein Pars Pro Toto für meine bisherige deutsche Sprachschulung handle. Schliesslich kumulierte meine jahrelange Sprachbildung in diesem finalen Blog, welcher somit als Einzelner gewissermassen für alles Bisherige und somit für das Ganze steht.
Doch genug von dieser prätentiösen Sprache. Fachgerechte Terminologie ist nicht nur anstrengend, sondern besitzt auch ihre Daseinsberechtigung. Sie soll helfen, Dinge kurz und präzise zu beschreiben, was meiner Meinung nach sehr wichtig ist. Nur wird dieser Hang zu Fachsprache manchmal übertrieben. Im Vordergrund steht dann nicht mehr, einen Sachverhalt möglichst präzise zu beschreiben. Vielmehr ist die Absicht, das eigene Unvermögen durch die Verwendung von pseudointellektueller Sprache zu überspielen – auch dieser Blog enthält dafür gewisse Beispiele.